
Blog Werden Kinder, die lange auf Bildschirme schauen, eher kurzsichtig?

Kinder verbringen immer mehr Zeit vor Smartphones und digitalen Medien. Eine aktuelle Studie hat den Zusammenhang von Bildschirmzeit und Kurzsichtigkeit bei Kindern untersucht. Wie sind die Ergebnisse zu bewerten? Dazu befragte ZEIT Online unseren Myopiexperten Prof. Dr. Hakan Kaymak und Prof. Dr. Norbert Pfeiffer, Direktor der Universitäts-Augenklinik in Mainz.
Wie viel Bildschirmzeit ist unbedenklich?
Wie viel Bildschirmzeit ist noch unbedenklich und ab wann erhöht sich das Myopierisiko? Dieser Frage ging ein Forschungsteam aus Seoul (Südkorea) in einer großangelegten Metaanalyse nach. Sie umfasste 45 Studien mit insgesamt 335.542 Kindern und Jugendlichen im Alter von 5 bis 14 Jahren (Durchschnitt 9,3 Jahre) aus Asien und Europa. Betrachtet wurde die Zeit, die die Kinder vor digitalen Geräten verbrachten, z.B. Smartphones, Tablets, Spielkonsolen, Fernsehern und Computern sowie Kombinationen daraus. Um Kurzsichtigkeit nachzuweisen, wurden die Brillenwerte zugrundegelegt oder die Werte in einem Fragebogen abgefragt. Die Ergebnisse wurden Ende Februar 2025 im Fachmedium JAMA Network open veröffentlicht.1
Durch ihre Größe und dadurch, dass verschiedene Altersgruppen untersucht werden, ist die Studie ein wichtiger Beitrag zur Diskussion über digitale Medien und Kurzsichtigkeit bei Kindern.
Prof. Dr. Hakan Kaymak
Die Studienergebnisse
Es ist die erste Metaanalyse, die die „Dosis-Wirkung-Beziehung” untersuchte, d.h. den Zusammenhang zwischen der Bildschirmzeit und dem Risiko kurzsichtig zu werden. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass das Risiko bei einer Bildschirmzeit von 1 bis 4 Stunden signifikant ansteigt, während es nach 4 Stunden nur noch graduell größer wird.
Erhöhung des Myopierisikos
Im Vergleich zu Kindern, die keine Zeit vor einem Bildschirm verbringen, erhöht sich das Myopierisiko bereits ab einer Stunde Bildschirmzeit signifikant:
eine Stunde erhöht es um rund 20 Prozent
zwei Stunden erhöhen es um rund 50 Prozent
vier Stunden verdoppeln es
Wie sind die Ergebnisse zu bewerten?
Prof. Dr. Norbert Pfeiffer wies darauf hin, dass eine Metaanalyse nur bereits vorhandene Daten analysieren könne. In den meisten Studien, die die Forscher untersucht haben, wurden die Brillen ausgemessen oder es wurde nur gefragt, ob jemand eine Brille habe. Objektiver sei es, die Länge des Augapfels zu messen, das sei allerdings in keiner einzigen zugrunde liegenden Studie passiert. Und auch die Abfrage der Bildschirmzeit durch Fragebögen kann zu Ungenauigkeiten führen.
Als einen weiteren Schwachpunkt der Metaanalyse hob Prof. Dr. Hakan Kaymak die Tatsache hervor, dass in keiner der untersuchten Beobachtungsstudien weitere Faktoren berücksichtigt wurden, die einen Einfluss auf die Entwicklung von Myopie haben. Daher könne diese Studie aufgrund ihrer Methodik keine Kausalität nachweisen. Zudem sei der entscheidende Faktor letztendlich nicht das Medium, sondern die gesamte Dauer der Naharbeit. Das Problem sei, dass digitale Medien häufiger und länger genutzt werden als Bücher.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch andere Faktoren eine Rolle gespielt haben, denn Kurzsichtigkeit ist eine Erkrankung, die mehrere Ursachen hat. Störfaktoren wie genetische Veranlagung oder Lichtbedingungen konnten in der Studie nicht ausgeschlossen werden.
Prof. Dr. Hakan Kaymak
Was hilft gegen Kurzsichtigkeit?
Insbesondere Tageslicht spielt eine wichtige Rolle, um das Myopierisiko zu senken. Kinder, die täglich zwei Stunden im Freien sind, haben ein deutlich geringeres Risiko kurzsichtig zu werden, weil Tageslicht die Ausschüttung von Dopamin fördert. Dopamin wird als „Stopp“-Signal erkannt, das das Augenlängenwachstum und damit die Entwicklung der Kurzsichtigkeit hemmt. Das ist vor allem wichtig für Kinder, deren Eltern kurzsichtig sind, weil sie ein erhöhtes Risiko haben.
Wichtig scheint zu sein, sich mindestens zwei Stunden pro Tag draußen aufzuhalten. Das wirkt dem Effekt der Bildschirm- und Naharbeitszeit deutlich entgegen.
Prof. Dr. Norbert Pfeiffer